Ein Freitagabend. Nur ein weiterer Abend in diesem Leben auf den Weinstraßen. Erledigt für den Tag. Wochenende. Durstig. Ein Verlangen nach einem frischen, leicht gekühlten Roten kommt mir in den Sinn. Etwas, das man leicht trinken kann. Ein paar Stufen und ein halber Schritt in den kühlen Keller. Röntgenaugen scannen links, sichten die Kisten rechts, suchen nach Inspiration. Und dann: Bumm! Christians «Kapitel I» hatte schon länger auf eine richtige Verkostung gewartet und «right now» war tatsächlich perfektes Timing. Bei perfekter Temperatur auch. Flasche geschnappt und zurück in die Küche, um mein Glas zu holen und den 25 Jahre alten Korkenzieher noch einmal anzuwenden. So weit, so gut, so normal. Das Übliche, wirklich. Und dann: die ersten Tropfen fließen ins Glas und ich denke mir «Moment mal». Glas ins Rampenlicht, irgendetwas war auffallend anders als bei den vorherigen Jahrgängen. Was für eine Farbe! Heller als sonst. Eher ein hübsches leuchtendes Rot. Ich – auf einmal hellwach. Hatte Christian nicht etwas erwähnt, vor Monaten, als wir zusammen Winzer im Jura besuchten. Sagte er nicht, dass der Kapitel I 2017 mich total ansprechen würde? Es war nur eine Randnotiz, ohne mir Details zu nennen oder so. Jetzt erinnerte ich mich. Und dann die Nase: würziger, mehr rote Früchte. Was ist mit dieser «Dunkelheit» passiert, die früher typisch für diesen Wein war?
Routine? Vorbei. Gänsehaut und diese leicht kribbelnde Vorfreude auf meinen ersten Schluck. Und im Bruchteil einer Sekunde eine wahre Kettenreaktion von Gedanken. Diese üppigen dunklen Beeren des Cabernets waren immer noch da, gleich nachdem der Wein auf den Gaumen traf, aber dann gesellten sich wunderbar elegante Aromen von roten Beeren dazu, die zusammen mit feinen, reifen Tanninen sozusagen in der Mitte des Mundes und im Abgang regierten. Und dieses Mundgefühl! Er erinnerte mich sofort an diese großen, seltenen Jura-Pinots, die wir auf dieser Reise gemeinsam verkostet hatten. Nur möglich durch eine wirklich sanfte und vorsichtige Extraktion. Wow, einfach nur wow. Wie sich dieser Wein seit meiner ersten Verkostung des 2011er Jahrgangs damals verändert hatte. Wie sich die Weinberge seither verändert haben. Christians persönliche Vorlieben, seine Arbeit im Keller, die Größe der Fässer, das Niveau der Extraktion, das Mundgefühl. Was für eine Freude, einen Wein über so viele Jahre zu verkosten, neu zu verkosten und zu vergleichen. Wie schön, einen Winzer und seine Entwicklung über so viele Jahre zu begleiten. Dieser erste kleine Schluck deutete sofort an: 2017 Kapitel I markiert den Beginn einer neuen Ära in der Entwicklung dieses Weins.
Kapitel 1: Ruf zum Abenteuer
Meine Liebesaffäre mit Kapitel I hatte mit dem 2011er Jahrgang begonnen und genau wie 2012/2013 war der Wein damals aus Cabernet Franc und Zweigelt komponiert. Ausgebaut wurde er in Fässern von 500 oder 600 Litern. Obwohl der Wein viel frischer und eleganter war als die meisten dieser Rotweine aus dem Burgenland, die gerade erst begonnen hatten, in der Schweiz zu verkaufen (man denke an Heinrichs Pannobile, die Frucht/Vanille-Bomben von Gsellmann oder Hillinger etc.), machte Christian durch die Verwendung von relativ kleinen Fässern und die Extraktion auf eher klassische Art und Weise diese Weine leicht zugänglich, unkompliziert, vertraut. Ein bisschen so, wie Bordeaux damals war, vor Parker. Feine, elegante Weine mit Säure, mit Tanninen, mit Charakter! Schöne «Vins Passerelles» («Brückenweine»), mit denen ich viele Weinliebhaber in die Welt der Naturweine verführen konnte. Christian beschrieb Kapital 1 als «The Dark Side of The Moon», sprach von kühler, dunkler Aromatik («the dark side of the moon» Parties damals…oh my oh my). Die Säure – die angesichts der heißen klimatischen Bedingungen in der Region ständig von Süße und Opulenz verdrängt zu werden drohte – war für ihn extrem wichtig und machte diese Weine so leicht genießbar. Diese entscheidende Säure in seinen Trauben zu schützen, war eine Herausforderung, in die Christian viel Energie und Konzentration steckte. Nicht auf die «Anfänger»-Art, indem er früh erntete. Nein, er arbeitete mit seinen Weinbergen, indem er die Art und Weise, wie er seine Reben bearbeitete, anpasste. Harte Arbeit, ständige Reflexion und Dialog, viel Mut, Dinge anders zu machen. Er ließ Kräuter zwischen den Zeilen wachsen, drückte die Wurzeln nach unten, er machte den Reben das Leben nicht leichter – aber schließlich verwandelte er seine Weinberge in die Lage, uns frische, köstliche, zuckerarme Säfte zu liefern. Säfte, die selbst in warmen Jahren nicht mehr als 12,5% Alkohol ergeben würden – und das bei perfekter Reife, nicht 2 Wochen vorher.
Kapitel 2: Adoleszenz
2015 und 2016 waren besondere Jahrgänge, da ausschließlich Cabernet Franc verwendet wurde und für 2 Jahrgänge wurde Kapitel 1 zu nichts weniger als einem der inspirierenden CabFrancs innerhalb der Naturweinszene. Eigenständig und mit seiner «österreichischen Präzision» ganz anders und doch auf Augenhöhe mit vielen prominenten CabFrancs von Winzern der 1. Generation an der Loire. Christian hat nie wirklich betont, dass Kapitel 1 nur aus Cab Franc besteht – und es ist ihm wohl auch nie in den Sinn gekommen, dass es bei K1 um eine Rebsorte geht. Es ging nur um seine Idee, seinen Traum von einem Wein. Und – er wird damals gespürt haben: Da war er noch nicht angekommen.
Kapitel 3 – Ankunft?
So nun – Kapitel 3 von Kapitel I. Jeder, der Christian kennt, versteht, dass reine Rebsortenausdrücke nur ein Teil seiner Arbeit sein können. Christian ist viel zu sehr von seiner Leidenschaft, seinem eigenen Durst, Geschmack und seiner Lebenslust getrieben. Zu kreativ ist seine Weinbereitung, zu sehr folgt er seinem Traum von einem Wein. Seine Grundwerte, seine Interpretation von «Laissez Faire» geben ihm nicht viel Spielraum, nicht viel Raum zum Wackeln (was für ein schönes Wort), nur wenige Variablen, mit denen er spielen kann. Doch er kennt diese Variablen in- und auswendig und versteht es, sie in die richtige Richtung zu lenken.
Erstens: die Weinberge. Aber nach 10 Jahren proaktiver Arbeit an seinen Reben hat er ein Qualitätsniveau erreicht, das nicht mehr viel Spielraum nach oben zulässt. Da kann er nicht mehr viel machen: Die Vitalität der Weine, diese Frische in einer eher heißen Region beweisen das. Das, was vielleicht noch übrig ist, ist die Zeit, die mit dem Älterwerden der Rebstöcke ihre Magie entfaltet.
Zweitens: die Rebsorten, die er in einem Wein mitvergärt. Und da hat Christian in diesem 2017er Jahrgang einen Volltreffer gelandet. Die Zugabe der österreichischen Sorte «Blaufränkisch» (früher nur in seinem «Felsen 1») gab uns all diese roten Fruchtaromen, die mich schon beim ersten magischen Schluck verführten.
Drittens: die eigentliche Vinifikation und extrem wichtig in unserem Zusammenhang hier: der Extraktionsgrad! Nochmals: weicher, sanfter, vorsichtiger. Das Extraktionsniveau von Kapitel I war noch nie so sanft, noch nie war es mehr «Infusion» (im Gegensatz zu echter Extraktion mit Taubenschlag etc.) und das ist es, was dem Wein dieses zarte und weiche Mundgefühl verleiht. Dieser unglaubliche Fluss, der Sie dazu bringt, noch einen Schluck zu wollen, und noch einen, und noch einen.
Ohne Methode Carbonique, ohne frühe Ernte, nur sanftes Laissez Faire, köstliche Trauben und ernsthaftes «Savoir Faire» im Keller. Ankommen? Nicht unmöglich, aber klar ist: mit diesem 2017er Jahrgang des Kapitel I ist Christian seinem persönlichen Traum, seiner Vorstellung von diesem Wein, einen großen Schritt näher gekommen.